Monate: Dezember 2014

Was danach geschah [X]

[31. Dezember 1916] Ich verliess dann mit Doktor Sch. das Sterbezimmer und wurde von der Schwester in ihr Zimmer gebracht. Lange, lange Zeit hatte ich nur das Gefühl als ob ich das alles nicht erlebt, sondern nur geträumt hatte. Ich dachte, ich müsste wieder erwachen aus dunklem, schweren Traum. Es konnte ja nicht sein, dass alles vorbei war. Vorbei unser Zusammensein, meinen Jungen der Vater genommen. Mein Glück zerstört. –  Nun musste ich etwas tun. Ich schrieb Telegramme, die alle des Sonntags wegen erst zwischen 5 und 6 Uhr befördert wurden. Da ich sie aber dringend aufgab dachte ich, sie würden in Dresden noch abends ankommen. Sie sind aber alle erst am nächsten Tag angekommen. Dann ging ich zu Dr. L. mit dem ich alles Nötige wegen der Überführung u.s.w. besprach. Ich selbst beschloss Dienstag den 2. Januar abzureisen. Die Leiche sollte erst Mittwoch überführt werden. Auf dem Rückweg von L. traf ich Fräulein R. Sie war so lieb und gut. Ich durfte gleich ihr Zimmer benutzen und habe mich den ganzen Tag und auch …

Was danach geschah [IX]

[30. und 31. Dezember 1916] Am 30. während des Mittagessens kam ein neuer und sehr starker Anfall von Atemnot und Erstickung. Die Fenster wurden weit aufgemacht, Dr. L., den ich holen liess, kam und machte eine Morphiumspritze. Nach einiger Zeit beruhigte sich der Anfall. Ich wusste aber mit dem Augenblick genau. Es war eine ernste Mahnung. Das Ende war nicht fern. Zitternd, bis ins Tiefste erschüttert verbrachte ich den Tag. Auf das Atmen lauschend, was immer lauter und beängstigender klang, je näher sich der Tag dem Ende zu neigte. Die Nacht begann. Ich schlief überhaupt nicht. Qualvoll war das Atmen zu hören. Betend faltete ich die Hände. Ich wusste ja, grösser als der Helfer ist die Not ja nicht. Dieses Wort hatte mir Tante Toni in einem Brief geschrieben, der gerade am 30. angekommen war. Ich flehte zum lieben Gott in meiner Herzensangst, erlöse ihn, lass ihn nicht mehr leiden, aber verleihe ihm Kraft, es zu ertragen. Curt war in der Nacht sehr unruhig, immer wurde das Licht angedreht. Gegen 6 Uhr früh hatte er …

Was danach geschah [VIII]

[25. bis 29. Dezember 1916] Die Weihnachtssendung der Kinder kam erst am 1. Feiertag an. Die darin befindlichen Bilder der Jungens hatte ich für Curt als Überraschung bestellt. Er freute sich darüber hatte sie eine Weile in den Händen und legte sie dann wieder fort. Er hat sie wohl kaum wieder mit Bewusstsein angesehen. Ich ging am 1. Feiertag früh in den Damensalon, dort fand Gottesdienst statt. Der Geistliche war dazu aus St. Blasien gekommen. Der Gottesdienst begann aber eine halbe Stunde später da der Geistliche des Glatteises wegen den Berg zum Sanatorium schlecht raufkam. Nach dem Gottesdienst frühstückte ich und besuchte dann Frau H., die mir ihre Bescheerung zeigte. Die nächsten Tage verliefen leidlich. Am 27. Dezember erneuerte Curt sogar sein Urlaubsgesuch und schrieb einen Brief an Leutnant S. Wie freute ich mich über dies erneute Zeichen seiner Teilnahme. Ich war ja so bescheiden geworden. Denn sonst lag er ja sehr apatisch und meist schlafend durch das Morphium. Die folgenden Tage bekam er zeitweilig leichte Beklemmungen, die mich stets sehr ängstigten. „Jetzt“ dachte ich …

Was danach geschah [VII]

[etwa 9. bis 24. Dezember 1916] Von nun an begannen furchtbare Tage. Die Reaktion nach dem Brennen war sehr stark, dazu das zunehmende Leiden. Es war qualvoll mit anzusehen […]. Dazu der quälende Husten […]. Es war wirklich übermenschlich. Das Jammern von Curt: „womit habe ich das verdient?“ schnitt mir ins Herz. Mein Herzblut hätte ich dahin gegeben, hätte ich ihm helfen können. Wir alle waren machtlos. Am 3. Tage nach meiner Rückkehr hatte ich eine längere Unterredung mit L., da ich den Gedanken erwog heimzureisen um Curt zu seinen Jungs zu bringen. er hatte dies in Freiburg ausgesprochen, er habe Angst die Jungen nicht mehr wieder zu sehen, er wolle bei ihnen sterben. – L. riet in diesem Falle zu einer schnellen Abreise. Da aber Curt immer die Hoffnung hatte wieder gesund zu werden und dies auch gelegentlich aussprach, mussten wir den Gedanken fallen lassen. Ich glaube auch noch hinterher, es war das Richtige. Vor allen Dingen, da L. mir gesagt hatte, dass ich ihn hätte in Dresden in ein Krankenhaus bringen müssen. Da …

Was danach geschah [VI]

[7. bis etwa 9. Dezember 1916] Am nächsten Morgen ging es so schlecht, dass es mir selbst fast unmöglich schien zu fahren. Unsere Koffer hatte ich am Tage vorher schon aufgegeben. Ich musste einen Zwang haben zu reisen. Auch K. zweifelte an seiner Reisefähigkeit. Ich sagte mir schliesslich, dass nach dem Urteil K.s der Fall so hoffnungslos stände, dass ein Bleiben keine heilsame Wirkung, eine Abreise keine schädliche Wirkung haben könnte. Dagegen, wenn die Reise ausgeführt würde uns wir wieder in Wehrawald seien, dem Kranken Erleichterung durch die herrliche Luft werden könnte. Ausserdem würde ihn die reizende Umgebung seelisch erfrischen. Kurzum, wir reisten! – Wir kamen in Leopoldshöhe an. Das Umsteigen ging mühsam. Ein Landsturmmann brachte ihn die Treppe herauf. Wir kamen in Wehr an. Kein Auto da. Eine mir endlos scheinende halbe Stunde warteten wir im Restaurant. Die Schwäche bei Curt nahm zu. Was nun? Da kam das Auto! – Glücklicher Weise das Privatauto. Ausser uns fuhren nur noch 2 weibliche Wesen mit. Wir fuhren durch schönen dicken Schnee, der in der Gegend lange …

Was danach geschah [V]

[25. November – 6. Dezember 1916] Am 25. früh musste ich gegen 1/4 7 aufstehen, da noch allerlei Reisevorbereitungen waren. Dann weckte ich Curt, dem das Anziehen viel Atemnot bereitete. Gegen 8 Uhr kam der Wagen, der uns bis an die Post fahren sollte. Wir verabschiedeten uns von Frieda, dem Zimmermädchen und fuhren fort. An der Post mussten wir lange warten. Der Autolenker hatte nie Eile. Da es aber ein ideal schöner Gebirgsmorgen war, konnten wir ruhig auf der Bank am Wartehäuschen warten. Dann endlich ging es los. Die Autofahrt war Curt sehr unangenehm wegen des starken Benzingeruches. Der übrige Teil der Reise ging über Erwarten gut. Da Curt keine Temperatur hatte war er ganz frisch. Um ein Uhr kamen wir in Freiburg an und fuhren mit Droschke nach der Klinik von Professor K. Dort ahnte kein Mensch etwas von unserer Ankunft. Erst begriffen wir das nicht, da wir doch angesagt waren. Dann stellte sich aber heraus, dass Professor K. nur die Anfrage von Dr. L. bekommen hatte, unsere Ansage, dass wir Sonnabend kämen aber …

Was danach geschah [IV]

[9. bis 24. November 1916] Wie freute ich mich, als Curt sogar Freitag den 9. November aufstehen durfte und da herrlicher Sonnenschein war auf der Liegehalle liegen konnte. Am Sonnabend assen wir sogar mit allen im Speisesaal Mittag und tranken dort auch Kaffee. Nach dem Abendessen, an dem wir auch noch unten teilnahmen, musste ich Curt gleich wieder zu Bett legen, da die Temperatur wieder auf 37,6 gestiegen war. Nach 8 tägiger Bettruhe konnte er wieder aufstehen und auf der Liegehalle liegen. Aber auch hier misslang der Versuch und bekam er zweiten Aufstehtag wieder erhöhte Temperatur, die in den nächsten Tagen immer höher steig und nur mit Pyramidon heruntergebracht wurde. An eine Abreise von mir war nicht zu denken, Curt brauchte meine Hilfe so nötig. […] Dr. L. behandelte den Kehlkopf mit Milchsäure und blies ihm vor den Mahlzeiten ein gelbes Pulver Ortloform ein, um das Schlucken zu erleichtern, was sich immer mehr verschlechterte. Am 22. November bat ich Dr. L. um eine Unterredung, ich musste mir Klarheit verschaffen über Curts Zustand, der mir immer …

Was danach geschah [III]

[1.10.1916-Anfang 11.1916] Am 1. Oktober übernahm Curt wieder sein Ersatz Bataillon. Seine immer nicht weichen wollende Heiserkeit wurde mit einem Mal verschlimmert durch heftige Schluckbeschwerden, sodass der Verdacht nahe lag, er habe sich bei Theo, der immer noch nicht bazillenfrei war, angesteckt. Heinz war inzwischen auch nach Bühlau übergesiedelt. Ich redete Curt zu, Sanitätsrat Z. zu konsultieren. Er tat dies auch. Am 18. Oktober abends, den Tag wo Theo gerade bazillenfrei erklärt wurde und auch am nächsten Tag nach Bühlau übersiedeln durfte, teilte mir Curt mit, dass bei der Untersuchung des Sputums Tuberkeln gefunden seien und Z. ihn in ein Sanatorium schicken wolle. Dieser 18. Oktober wird mir unvergesslich bleiben. Früh voller Freude und Dank für ein wiedergenesenes Kind, abends mit banger Sorge in die Zukunft blickend, wegen meines kranken Mannes. – Wie gut, dass diese verhüllt war! – Am 20. sprach Curt mit Vater und teilte ihm den ärztlichen Ausspruch und Rat mit. Vater riet sofortige Abreise nach Wehrawald in das Sanatorium von Herrn Dr. L. Wir bestellten gleich telegraphisch Zimmer und erhielten die …

Was danach geschah [II]

[26.9.1914-31.9.1916] Am nächsten Morgen, also am 26. war mein erster Weg ins Lazarett. Ich fand Curt soweit munter. Er lag mit M.s Leibregiment und Major G. zusammen. S., den ich nach dem Ergebnis der Untersuchung fragte, befürchtete anfangs eine gänzliche Ablösung der Achillessehne, da alles sehr vereitert, ja brandig war. Ein paar Tage bestand sogar die Gefahr, dass der Fuss nicht zu erhalten war. Ich glaube wohl, dass dies noch so vorbei ging, dankten wir der energischen Behandlung in Würzburg. Dort wurde die Wunde mit Kampferwein verbunden. 2 Monate fast bliebt Curt im Königl. Lazarett, treu verpflegt von der lieben Schwester Ella. Jeden Tag kann ich nun nicht beschreiben. Ich greife nur einen oder den anderen heraus, zwei schöne und einen traurigen. Am 7. November musste ich ihm wieder eine Trauernachricht überbringen, nämlich dass [sein mittlerer Bruder] Max gefallen war. [Max fiel am 5.11.1914 vor Ypern.] Die beiden schönen, die erste Ausfahrt ungefähr Mitte November und zu demselben Zeitpunkt am [ ] November die Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Endlich am 25. November wurde Curt …

Was danach geschah [I]

[18.-25.9.1914. Würzburg und nach Dresden] Wie Curt schon vermutete kam ich erst am 18. September in Würzburg an. Da ich in Nürnberg übernachten musste. Meine Reise bis dorthin machte ich mit Grete N., wir erwarteten gegen 7 die Ankunft von ihm, N., der verwundet aus Würzburg kam. Er sah sehr elend aus. N.s fuhren am 18. früh nach Dresden. Da mein Zug richtung Würzburg erst Mittags abging machte ich noch eine Rundfahrt durch die Stadt, frühstückte dann im Hotel und fuhr dann fort. Ich kam in der 2. Stunde in Würzburg an und stieg im Reichshof (bis zu Beginn des Krieges hiess er Russischer Hof) ab. Ich ass erst zu Mittag und begab mich dann ins Juliusspital, was ganz nahe vom Hotel lag. Das Wiedersehen war für uns beide überwältigend und doch traumhaft schön. Ich fand Curt älter geworden, kein Wunder nach allem was er durchgemacht hatte. Die stille Schwester Marie pflegte ihn rührend. Die Wunde war aber viel viel schlimmer, als wir uns alle es gedacht hatten. Curt trug aber die Schmerzen mit rührender …