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Was danach geschah [IV]

[9. bis 24. November 1916]
Wie freute ich mich, als Curt sogar Freitag den 9. November aufstehen durfte und da herrlicher Sonnenschein war auf der Liegehalle liegen konnte. Am Sonnabend assen wir sogar mit allen im Speisesaal Mittag und tranken dort auch Kaffee. Nach dem Abendessen, an dem wir auch noch unten teilnahmen, musste ich Curt gleich wieder zu Bett legen, da die Temperatur wieder auf 37,6 gestiegen war. Nach 8 tägiger Bettruhe konnte er wieder aufstehen und auf der Liegehalle liegen. Aber auch hier misslang der Versuch und bekam er zweiten Aufstehtag wieder erhöhte Temperatur, die in den nächsten Tagen immer höher steig und nur mit Pyramidon heruntergebracht wurde. An eine Abreise von mir war nicht zu denken, Curt brauchte meine Hilfe so nötig. […]
Dr. L. behandelte den Kehlkopf mit Milchsäure und blies ihm vor den Mahlzeiten ein gelbes Pulver Ortloform ein, um das Schlucken zu erleichtern, was sich immer mehr verschlechterte. Am 22. November bat ich Dr. L. um eine Unterredung, ich musste mir Klarheit verschaffen über Curts Zustand, der mir immer beängstigender erschien. L. erklärte diesen für sehr bedenklich, um so mehr, als die Ernhährung Schwierigkeiten machte und riet eine Konsultation bei Professor K., einem berühmten Kehlkopfspezialisten in Freiburg i.B. Zunächst sollte ich aber das Ergebnis der zweiten Untersuchung am nächsten Tage abwarten. Dieses war, dass die Lunge wider Erwarten ruhiger, der Kehlkopf hingegen nicht besser geworden war. L. sagte uns für Sonnabend, den 25. November in Freiburg bei Professor K. an. Wir feierten erst am 24. November Curts Geburtstag. Reizend waren all die lieben Bekannten, die ich durch Vermittlung von Frau von M. kennen gelernt hatte. Einige davon sollten mir noch in späteren Tagen unschätzbare liebe Freunde werden, die ich nie vergessen werde. Frau von M. schickte ein Porzellanherz als Bonbonière, Frau Landrat H. eine grosse Vase mit Tannenzweigen. So innig vereint und dabei mit so namenlos wehem Herzen habe ich noch nie einen Geburtstag mit jemandem gefeiert. Heisse Tränen weinte Curt, als er die verschiedenen Sendungen aus Dresden auspackte. Besonders als er die Karten mit den lieben Bildern der Jungens sah. Es war alles so unsagbar schwer und wenn ich dies alles niederschreibe nach bald 1/2 Jahr so ist es mir jetzt noch unfassbar, dass ich immer wieder heitere Worte für ihn fand, die ihm auch stets halfen. –
Abends, nach dem ich noch alle unsere Sachen gepackt hatte, ging ich noch in das gemütliche Rauchzimmer um Abschied zu nehmen von den lieben Bekannten. Herr und Frau von M., Frau H., Fräulein R., Frau von B. Ich war den Abend doch noch hoffnungsfreudig, setzte ich doch alle meine Hoffnung auf einen operativen Eingriff von Professor K.
Wie bitter sollte ich enttäuscht werden!

 

Was danach geschah [III]

[1.10.1916-Anfang 11.1916]
Am 1. Oktober übernahm Curt wieder sein Ersatz Bataillon. Seine immer nicht weichen wollende Heiserkeit wurde mit einem Mal verschlimmert durch heftige Schluckbeschwerden, sodass der Verdacht nahe lag, er habe sich bei Theo, der immer noch nicht bazillenfrei war, angesteckt. Heinz war inzwischen auch nach Bühlau übergesiedelt. Ich redete Curt zu, Sanitätsrat Z. zu konsultieren. Er tat dies auch. Am 18. Oktober abends, den Tag wo Theo gerade bazillenfrei erklärt wurde und auch am nächsten Tag nach Bühlau übersiedeln durfte, teilte mir Curt mit, dass bei der Untersuchung des Sputums Tuberkeln gefunden seien und Z. ihn in ein Sanatorium schicken wolle. Dieser 18. Oktober wird mir unvergesslich bleiben. Früh voller Freude und Dank für ein wiedergenesenes Kind, abends mit banger Sorge in die Zukunft blickend, wegen meines kranken Mannes. – Wie gut, dass diese verhüllt war! – Am 20. sprach Curt mit Vater und teilte ihm den ärztlichen Ausspruch und Rat mit. Vater riet sofortige Abreise nach Wehrawald in das Sanatorium von Herrn Dr. L. Wir bestellten gleich telegraphisch Zimmer und erhielten die Antwort, dass vorläufig Unterkommen im Batzenhaus nur möglich sei, da das Sanatorium voll besetzt war.
Am 25. Oktober traten wir unsere Reise an. Ich nur mit der Absicht 10 – 14 Tage fortzubleiben. Wir fuhren zunächst bis Freiburg i.B., wo wir abends gegen 9 Uhr ankamen. In Stockfinsterniss, wegen Fliegergefahr brannten wenig Lichter und diese waren auch noch verhängt, tappten wir uns unter Führung des Hausdieners nach dem Zähringer Hof, wo wir übernachteten, nach dem wir endlos auf unser Abendessen Maccaroniauflauf und Kalbskopf, den Curt sich bestellt hatte, gewartet hatten. Am nächsten Morgen gegen 9 fuhren wir bei Regenwetter weiter. In Leopoldshöhe mussten wir umsteigen. Dann ging es weiter bis Wehr, wo wir nach 11 Uhr ankamen. Dort stand bereits das gelbe Auto. Dies nahm uns mit, aber unser Gepäck nicht. Es war wohl überhaupt nicht auf uns gerechnet. Die Fahrt ging durch das herrliche Wehratal. Es war wundervoll. Gegen 1/4 2 kamen wir in Todtmoos Ort an und wurden an der Post abgesetzt. Von da aus mussten wir uns unseren Weg nach dem Batzenhaus selber suchen. Der Autolenker eine Type der sogenannten Maulfaulheit strengte sich auch nicht sehr mit Beschreibung desselben an. Im Batzenhaus bekamen wir ein sehr hübsches Zimmer im Parterre mit grosser überdachter Veranda. Nach dem wir Mittag gegessen hatten gingen wir rauf ins Sanatorium in die Sprechstunde von Dr. L. Das Ergebnis der langen Untersuchung war, dass beide Lungen angegriffen waren, rechts mehr, wie links. Da Curt erhöhte Temperatur hatte sollte er sich gleich zu Bett legen, alle zwei Stunden Temperatur messen. Diese wurde im Munde unter der Zunge gemessen. Höher wie 37,2 – 3 durfte sie nicht sein. Wir gingen zuerst in die Apotheke und kauften den nötiggebrauchten Thermometer und noch Anaestisinbonbons. Dann ging Curt zu Bett. Ich gab dann noch ein Telegramm auf, was unsere Ankunft meldete den Eltern. Die Verpflegung im Batzenhaus war sehr gut. Wir warteten nur auf eine Nachricht von Dr. L., der so schnell wie möglich ein Zimmer im Sanatorium freimachen wollte, um Curt aufzunehmen. Sonnabend den 28. Oktober siedelten wir bereits dorthin über. Wir fuhren mit Wagen den Berg hinauf. Wir bekamen dort eine sehr hübsche Balkonstube Zimmer 77 im 1. Stock des Doktorhauses mit einem entzückenden Blick nach Todtmoos und auf eine herrliche Tannengruppe. Anfangs schien sich Curt wirklich dort zu erholen, obgleich der Kehlkopf ihm viel zu schaffen machte, ging die Temperatur zurück. Ich hatte inzwischen überraschend Frau von M. geb. von L. gefunden, die auch wie ich, ihren kranken Mann begleitete. Wir schlossen uns sehr aneinander an und machten jeden Vormittag reizende Spaziergänge durch die entzückend schöne Gegend. Da wir vor Begeisterung immer zu weit gingen, mussten wir fast jedesmal den Rückweg im Laufschritt machen, um nicht zu spät zum Mittagessen zu kommen. Oder wir grasten sämtliche Läden nach Chokolade ab. Jedesmal gab es Jubel, wenn wir gute Suchard Chokolade aus der Fabrik in Lörrach bekamen. Ich war ja damals noch so ahnungslos über den Verlauf der Krankheit, dass ich wirklich den Aufenthalt genoss und als Erholung für mich betrachtete.

Was danach geschah [II]

[26.9.1914-31.9.1916]
Am nächsten Morgen, also am 26. war mein erster Weg ins Lazarett. Ich fand Curt soweit munter. Er lag mit M.s Leibregiment und Major G. zusammen. S., den ich nach dem Ergebnis der Untersuchung fragte, befürchtete anfangs eine gänzliche Ablösung der Achillessehne, da alles sehr vereitert, ja brandig war. Ein paar Tage bestand sogar die Gefahr, dass der Fuss nicht zu erhalten war. Ich glaube wohl, dass dies noch so vorbei ging, dankten wir der energischen Behandlung in Würzburg. Dort wurde die Wunde mit Kampferwein verbunden. 2 Monate fast bliebt Curt im Königl. Lazarett, treu verpflegt von der lieben Schwester Ella. Jeden Tag kann ich nun nicht beschreiben. Ich greife nur einen oder den anderen heraus, zwei schöne und einen traurigen.

Am 7. November musste ich ihm wieder eine Trauernachricht überbringen, nämlich dass [sein mittlerer Bruder] Max gefallen war. [Max fiel am 5.11.1914 vor Ypern.]
Die beiden schönen, die erste Ausfahrt ungefähr Mitte November und zu demselben Zeitpunkt am [ ] November die Verleihung des Eisernen Kreuzes II.

Endlich am 25. November wurde Curt aus dem Lazarett entlassen, sodass er am 24. November seinen Geburtstag mit uns feiern konnte. Curts Hoffen auf eine baldige Heilung wurde auf eine harte Probe gestellt, eine kleine Stelle wollte und wollte nicht heilen. Was er seelisch gelitten hat, als „Krüppel“, wie er sich nannte herumzulaufen, und nicht „heraus“ zu können, das habe ich innerlich mit gelitten. Dabei auf Befragen sagte er stets, ausgezeichnet geht es! Eine Zeit lang machte er Turnübungen bei Dr. L. um die Beweglichkeit des Fusses nach Möglichkeit herzustellen.

Vom 30. Juni bis 28. Juli 1915 ging er nach Elster ins Sanatorium Köhler. Der Erfolg der Kur war gleich Null. Ausserdem war durch die Bestrahlungen eine eiternde Brandwunde entstanden. Nach seiner Rückkehr aus Elster begab er sich zu einer Konsultation zu Professor M. [ins] Diakonissenhaus. Dieser riet einen operativen Eingriff, Entfernen eines mit der Narbe verwachsenen Nerves und Hautverpflanzung. Ende August am 30. ging er in die Diakonissenanstalt. Dort blieb er zunächst 8 Wochen an den Lehnstuhl gebannt, bis endlich die kleine Brandwunde verheilt war. Der Fuss war ganz fest geschient. Endlich nach Verlauf von dieser Zeit konnte der operative Eingriff mit örtlicher Betäubung vorgenommen werden und zwar einmal wurde der Nerv entfernt und als dies geheilt war wurde die Hautverpflanzung gemacht. Die gesunde Haut wurde dazu vom Oberschenkel genommen. –

Ich glaube ich vergass ganz zu schildern wie überhaupt der Schuss im Bein war. Er war oberhalb der Wade hineingegangen, man sah da einen kleinen Einschuss, der Ausschuss war an der Ferse auch ganz klein. Dazwischen war aber eine doch sicher 15 cm lang aufgerissene Wunde. Anscheinend hatte sich das Geschoss überschlagen. Anfangs lag der Verdacht eines Dum Dumgeschosses vor. Dagegen sprach aber der kleine Ausschuss. –

Ich sah Curt leider nicht mal bei den Operationen, da ich zu der Zeit bei Dr. B. in der Klinik war. Das 2. mal war ich gerade heimgekehrt. Endlich Mitte November konnte er das Diakonissenhaus verlassen und damit seine treue Pflegerin Schwester Margarete. Seinen Geburtstag am 24. November konnte er wieder daheim feiern. Diesmal fehlte aber seine Mutter dabei, die am 14. März an Lungenentzündung gestorben war. Ehe die Wunde so fest vernarbt war um mehr aushalten zu können vergingen noch mehrere Wochen. Endlich kam für Curt die langersehnte Stunde, wo er wenigstens hier im Lande seinem Vaterlande dienen konnte. Erst wurde er im Februar stellvertretender Brigadeadjutant bei Exzellenz von Sch. Am [ ] März 1916 wurde er zum Kommandanten des I. Ersatz Bataillons Nr. 100 ernannt. Das war für ihn eine grosse Freude. Am 25. Mai konnte er sogar bei der Parade auf dem Theaterplatz seinem König seine Grenadiere im Parademarsch vorführen. Ein herrlicher Augenblick, in dem auch ich von Herzen dankbar war, für die fortschreitende Genesung. Trotz allem hatte aber Curt immer wieder die heisse Sehnsucht wieder bei seinen Kameraden im Feld zu sein und wenn das nicht möglich war, wenigstens in eine Etappe zu können. Zu Pfingsten 1916 während der Ferien machten wir mit Theo und Fritz einen Ausflug auf die Bastei. Auch da ging das Laufen überraschend gut. Einige Zeit hinterher trat aber eine plötzliche Verschlechterung ein. Er litt an furchtbaren Schmerzen im Rücken, die vom Bein heraufgingen. Tageweise konnte er kaum laufen. Eine ärztliche Untersuchung ergab Nervenentzündung und so wurde er zur Kur nach Wildbad geschickt. Dorthin fuhr er am 1. August. Er wohnte dort im Hotel zur Post. Am 7. September musste ich ihm dorthin berichten, dass Theo und am 9. dass Heinz an Diphterie erkrankt waren. Beide Fälle waren Gott sei Dank leicht, störten aber doch unseren Plan uns irgendwo zu treffen und eine Nachkur von Curt zusammen an einem netten Ort zu verleben. Am 16. September kam Curt hier wieder an. Leider gar nicht erholt. Er war heftig erkältet. Als Nachkurort wählte er er sich Bühlau und fanden wir dort in der Pension Steinhopff ein sehr nettes Unterkommen für ihn, Frieda und die beiden gesund gebliebenen Jungen Fritz und Arndt. Die beiden anderen sollten dann nachkommen. Am 23. September zogen sie raus. Ich blieb mit den beiden Kranken, die anfingen aufzustehen in der Wohnung, die endlich nach Aufbau und Durchbruch schön in Ordnung war.

Was danach geschah [I]

[18.-25.9.1914. Würzburg und nach Dresden]
Wie Curt schon vermutete kam ich erst am 18. September in Würzburg an. Da ich in Nürnberg übernachten musste. Meine Reise bis dorthin machte ich mit Grete N., wir erwarteten gegen 7 die Ankunft von ihm, N., der verwundet aus Würzburg kam. Er sah sehr elend aus. N.s fuhren am 18. früh nach Dresden. Da mein Zug richtung Würzburg erst Mittags abging machte ich noch eine Rundfahrt durch die Stadt, frühstückte dann im Hotel und fuhr dann fort. Ich kam in der 2. Stunde in Würzburg an und stieg im Reichshof (bis zu Beginn des Krieges hiess er Russischer Hof) ab. Ich ass erst zu Mittag und begab mich dann ins Juliusspital, was ganz nahe vom Hotel lag. Das Wiedersehen war für uns beide überwältigend und doch traumhaft schön. Ich fand Curt älter geworden, kein Wunder nach allem was er durchgemacht hatte. Die stille Schwester Marie pflegte ihn rührend. Die Wunde war aber viel viel schlimmer, als wir uns alle es gedacht hatten. Curt trug aber die Schmerzen mit rührender Geduld, hatte er doch nur den einen Wunsch, bald wieder heraus zu den Kameraden zu können. Ich blieb bis gegen Abend bei ihm und ging dann ins Hotel Abendbrot essen und schlafen. Vorher hatte ich an Vater telegraphiert.
Am 19. früh wurde mir am Kaffeetisch ein Telegramm gebracht. Vater teilte mir darin mit, dass Richard [Curts ältester Bruder] am 15. September [in Frankreich] gefallen war. Der arme Curt. Unsere Wiedersehensfreude wurde dadurch sehr getrübt. Nach dem Kaffee ging ich gleich zu Curt und überbrachte ihm die traurige Nachricht. Er nahm sie ruhiger auf, wie ich dachte. Ich glaube, er war zu angegriffen und hatte schon zu schreckliches erlebt.
Mittags besuchte ich Frau von K. auf dem Pleicher Glaas 14. Eine reizende liebe Dame und ihre Tochter Else. Beide waren so lieb zu mir. Ich ass fast ständig Mittags oder abends mit ihnen im Bahnhofshotel. Sie werden mir unvergesslich bleiben. Mit Fräulein Else machte ich mehrere Besuche in Lazaretten, auch zeigte sie mir bei einer Rundfahrt die Sehenswürdigkeiten Würzburgs. Auch beim Einkauf einer Bluse war sie mir behilflich. So verliefen die Tage in Würzburg nett und gemütlich in ungestörtem Zusammensein mit Curt.

Freitag, den 25. September erlaubte der Arzt die Heimreise. Ich nahm ausser Curt noch einen jungen Leutnant F. aus Freiberg unter meine Obhut. Früh traf ich mit beiden Verwundeten auf dem Bahnhof zusammen, beide wurden auf Tragbahren in das Coupé gebracht. In Bamberg und Corbetta mussten wir umsteigen. Da es schwierig war bei den Durchgangswagen mit den Tragbahren durch die Gänge zu kommen, wurden die Verwundeten durch die breiten Fenster auf die Bahren gehoben. Dank der Hilfe eines Herrn Kommerzienrat Kalle, der eine grosse Strecke mitfuhr und einem Herrn vom Roten Kreuz, der sogenannte Reiseonkel, ging die Reise ohne Zwischenfälle ab. Unser Reiseonkel fuhr bis Dresden mit. Sogar komische Intermezzos spielten sich ab. Z.B. beim Umsteigen in Corbetta war ein weibliches Wesen derart gerührt, dass sie F. und Curt streichelte. Ihre Absicht bestand mit in unserem Coupé sitzen zu bleiben. Es gelang mir aber sie abzuwimmeln. In Leipzig mussten wir wieder heraus. Hatten dort 2 Stunden Aufenthalt, den wir schliesslich mit Hilfe des Bahnhofskommandanten im Damensalon verbrachten. Auf dem Weg durch die Bahnhofshalle war mir der Reiseonkel sehr angenehm indem er die störend an die Bahre herandrängende Weiblichkeit fernhielt. Trotzdem kamen wir aber mit Blumen in dem Damensalon an. Wir assen dort Abendbrot und setzten dann die Reise fort. In der 12. Stunde trafen wir in Dresden – A. ein. Vater war in Neustadt eingestiegen. In Altstadt erwartete uns Onkel Jury. Stabsarzt H. leitete dann das Verladen ins Krankenauto, nachdem beide Verwundeten auf ihren Bahren mit dem Gepäckaufzug heruntergelassen waren. Curt kam ins Königliche Lazarett Parkstrasse, F. auf die Lennéstraße. Ich fuhr gleich nach Hause.

 

16. IX.

Früh am 16. Antwort ergibt, dass meine Nachricht von Verwundung noch nicht angekommen ist. Marie will am 17. kommen, halte es der Züge wegen für ausgeschlossen.

*

Bis hierher gehen Curts Aufzeichnungen. 
Ich setze sie in Kürze fort.  – Marie –  

13. IX.

Vorhin am 13.9. wurde einer geholt, nach einer halben Stunde war er wieder da, ein Bein amputiert. Er wacht jetzt auf. Es ist schrecklich so viel Jammer und Elend zu sehen und zu hören. Er ist anscheinend noch im Dussel und spricht und schreit. Der Saal riecht furchtbar nach Äther und ähnlichen Sachen. Gegen Mittag kommt N. 108 und sagt mir, ich solle mich fertig machen. Ein Fliegerauto will uns nach Montmedy bringen, wo Bahnanschluss. Auch Leutnant v. S. 177 bei der Etappe Vouziers ist rührend, schenkt mir ein Stück Seife.-
Abfahrt über Stenay, Buzaney nach Montmedy. Sehr interessante Fahrt. Umgehungsbahn im Bau. In Montmedi in den 2. Bayrischen Lazarettzug. Fahrt über Diedenhofen, Esch, Kaiserslautern, Worms, nach Ochsenfurt. Dort Nachricht, dass wir nicht, wie geplant, nach Nürnberg, sondern nach Würzburg kommen.

[Der nächste Tagebucheintrag folgt am 15. September.]

12. IX.

Am 12. früh Aufbruch nach Vouziers. Anschluss an die Bahn. Komme ins Lazarett. Soll heute noch untersucht werden. Habe Angst wegen der Beweglichkeit des Beines.
Professor E. aus Bonn hat mich soeben untersucht. Ich hätte Glück gehabt. In einigen Tagen könnte ich weiter. Ein Nerv, der Wadennerv scheine angegriffen.
Die Verpflegung ist gut. Ich liege mit 16 Mann zusammen. Alle sehr ruhig, leidend.

11. IX.

11. September. Heute erst komme ich dazu nachzutragen.

Am 8. Fortsetzung der Schlacht von Sompuis. Die Vorgänge sind bei mir jetzt verwischt. Es war ein dauerndes Vor. Der Feind ging zurück, überfiel und kam wieder mit Feuer. So auch das letzte Mal. Das II. Bataillon hatte schon 8 Geschütze erobert, da bekam es plötzlich Flankenfeuer. Wir auch. Entwickele die Kompagnie, nehme Feuer auf gegen Waldrand. 900 m. Artillerie unterstützt ausgezeichnet. Plötzlich halblinks, wo II. Bataillon stand, Infanteriefeuer. Ich schiesse mit 400 m. Plötzlich ein Schlag auf meinen linken Absatz. Es beginnt nun die eigentliche Leidensgeschichte. Der Schuster H. und Ö. tragen und zerren mich aus dem Feuer. Meine Schützenlinie geht zurück. Im Infanterie- und Artilleriefeuer. Erst in eine Deckung. 3 Verbandspäckchen. Nach langer anstrengender Arbeit endlich nachts Bahnwärterhaus bei Sompuis erreicht. Erstes Wasser und Trinken seit Tag vorher. Unterarzt L.-ey oder H.-ei verbindet, schient. Bleibe die Nacht dort, früh Morphium. Gegen Mittag Sanitätskompagnie holt uns ab und will uns nach Sompuis bringen, das von den Franzosen angegriffen, die Kirche mit Artillerie beschossen wird.

Weiter am 9. nach Coole, dort ausgeladen in Kirche. Nach einer Stunde Abmarsch nach Châlons. Furchtbare Fahrt mit schwerverwundetem Leutnant M. F. A. Geruch.
Nacht gesucht nach St.

Unterkunft gegen Morgen am 10. in Artilleriekaserne. Nachmittag in Dragonerkaserne. 1000 Verwundete. Liegen 16 Offiziere zusammen.

Morgens am 11. Aufbruch. Châlons wird geräumt. Alles fluchtartig weg, bis auf 4, einschliesslich mir. Keine Pflege. Schleppe mich zum Fenster und erreiche dass durch mein Rufen ein Arzt, Stabsarzt G. kommt und uns mit nach Suippes nimmt. Abends bei Regen Ankunft. Hammelfleisch mit Kartoffeln! Endlich seit dem Tag vorher mein erstes Essen.

 

7. IX.

Sou dé Croix. 7.9.14. 3° Vorm.
Gestern am Sonntag ist, wie üblich, für das III. Bataillon ein Hauptarbeitstag gewesen. 3/4 5° Vorm. marschierten wir ab. Gegen 9° Abends war Schluss. Nach der Karte haben wir 52 Kilometer gemacht. Die Leute waren glänzend. Sie schimpften wohl mal laut, Hunger etc. Als es mir aber kurz vor dem Ziel gelang, ein Brot zu verteilen 1 : 234 war die Stimmung schon besser. Die Feldküche kam bald und schlafen sie jetzt, wie die Steine in den Scheunen. 3/4 Stunde von hier stellte T., der Radfahrer und Mädchen für Alles, Franzosen fest. Ich bin daher zur Sicherheit aufgestanden, fürchtete einen Überfall.

Der 5. September wurde Rasttag. Nachmittag Feldgottesdienst. N. sprach glänzend. Sirach 50. Eine erhebende Feier. Tief ergreifend, voll Dank und Zuversicht. Das Lied „Nun danket alle Gott“ war mächtig, gesungen von Tausenden die empfanden was sie sangen.-

Was der Tag heute bringt? Die I. Armee steht vor Paris, etwas südlich die II. Dann mehr nach Süden die III. Gestern den ganzen Tag vor unserer Front Kanonendonner.
Wir sind angetreten. Leib Regt. mit Abteilung F. als rechte Seitendeckung und Reserve des A.K. auf dem Wege Sou dé St. Croix.-Sompuis. Am weitesten links XIX. A.K. Dann XII. Dann Gardekorps. Zwischen beiden ein Loch, das die Détachements W. und Pf. III./108 ausfüllen soll. Feindliche Kavallerie gemeldet, rechts vorwärts und hinten.
1/2 9° ist das Gefecht, wohl die grosse Schlacht im Gange. Das Artilleriefeuer ununterbrochen, Gewehr- und Maschinengewehrfeuer. Meine Leute liegen sehr matt vom gestrigen 52 Kilometermarsch im Strassengraben. Auch M. neben mir schläft. Ich bin 3 mal fürs Eiserne Kreuz eingegeben. Ob ichs je erhalte? Ob ichs je tragen kann? Ich wünschte, wir wären 12 Stunden weiter, und wir hätten gesiegt!

Die Zeit ist um. Wir standen zur Verfügung. Das A.K. hinter der Artillerie. Der Feind griff an. Wir haben uns gehalten. In der Nacht Abmarsch nach der Waldecke nördlich II. Bataillon.

[Der nächste Tagebucheintrag folgt am 11. September.]