[2. bis 8. Januar 1917]
Dienstag den 2. Januar trat ich meine Heimreise an. Der gelbe Omnibus brachte mich früh gegen 1/2 9 nach Wehr. Von da auch fuhr ich mit einmaligem Umsteigen in Leopoldshöhe durch bis Frankfurt a.M. wo ich mit ziemlicher Verspätung gegen 7 ankam. Ich war sehr müde und hungrig, da auf der ganzen Fahrt weder Speisewagen noch irgend etwas zu essen gab. Meine Ernährung bestand aus einem Teil der Brotration meines Zimmermädchens vom Verwaltungsgebäude, etwas Cakes und Schokolade. Ich kam sehr gut in Frankfurt im Basler Hof, einem vorzüglichen christlichen Hospiz unter und übernachtete dort. Am nächsten Morgen gegen 8 Uhr fuhr ich weiter. In Leipzig kam ich gegen 4 Uhr an und wollte gegen 6 weiter fahren. Der Fahrplan war aber geändert worden und hatte ich gleich Anschluss. Müde und hungrig war ich diesmal auch. Ich war die ganze Zeit mit 5 Feldgrauen und noch einem jungen Mädchen gefahren. Der Zug war in Frankfurt so überfüllt gewesen, dass ich anfangs dachte, ich käme garnicht mit. Die Feldgrauen machten aber Platz. Meine Nahrung bestand an diesem Tag nur aus dem ersparten Brot und Chokolade und Cakes. Die Fahrt von Leipzig nach Dresden war nicht so überfüllt. Gegen 3/4 6 kam ich in Dresden an. Mutterseelenallein, niemand erwarte mich, da ich ja meine Ankunft von Frankfurt aus telegraphisch für 1/2 8 gemeldet hatte. Vom Bahnhof aus telephonierte ich auf die Hainstrasse, dass ich da sei. Vater kam gleich herüber. Ich wartete dann noch auf der Hainstrasse, bis mir Sch. eine Droschke versorgt hatte und fuhr dann mit Liesel zusammen nach Hause. Hoffnungsvoll hatte ich es mit Curt verlassen. Einsam und wehen Herzens sollte ich es wieder betreten. Wenn ich da meine Jungens nicht gehabt hätte. Diese Jungens, die mir nun alles sein mussten, ich weiss nicht, was aus mir geworden wäre. Der Jubelruf meines kleinen Arndt: „Ich freue mich, ich freue mich!“ Es zerriss mir das Herz und doch, wie erleichterte es mir die Heimkehr. Mit diesem Augenblick sah ich mein Lebensziel klar vor mir. Ich durfte meinem Kummer mich nicht völlig hingeben. Meine Jungens, die mich 10 lange Wochen entbehrt hatten, brauchten mich nun doppelt. Ihnen musste ich in Zukunft alles sein. Curt, der auch nur für die Jungens lebte, hätte es wohl auch nie anders von mir erwartet. Der liebe Gott musste mir ja die Kraft zu dieser herrlichen, aber auch schweren Lebensaufgabe geben. Auch Mutter erwartete mich in der Wohnung, verliess mich dann aber bald.
Am Freitag, den 5. Januar traf die Leiche hier ein auf dem Hauptbahnhof und wurde abends von Vater und Onkel Paul nach dem Garnisonsfriedhof überführt.
Dort fand Montag, den 8. Januar die Beerdigung statt. Wie diese Stunde an mir vorüber gegangen ist, weiss ich heute nicht mehr. Ich war, wie im Traum. Es ist vielleicht segensreich von der Natur eingerichtet, dass man in solchen Stunden nicht klar denken kann. Man ist gleichsam nicht mehr selbst. Man führt ein Traumleben. Blumenbedeckt über und über so stand der Sarg, einfach und schlicht in der Halle. Ein jeder hatte ihn lieb gehabt. D. sprach so herrliche Worte. Dann brachten ihn seine Grenadiere heraus, durch seine spalierbildenden Grenadiere wurde er getragen. Noch ein kurzer Augenblick und der Sarg versank in der Tiefe. Eine Handvoll Blumen. – Es war vorbei. –
[Es folgen zwei Epiloge.]