Alle Artikel in: Marie

Epilog [II]

Als Marie ihre Aufzeichnungen beendete, war der Krieg noch nicht vorbei. Wie das Tagebuch berichtet, war bereits vor Ablauf des ersten Kriegsjahres Curt verwundet worden und seine beiden Brüder gefallen. Die Mutter der drei Brüder starb im zweiten Kriegsjahr, nur die Schwester Elsa überlebte den Ersten Weltkrieg; sie starb dann bei der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar 1945. Auch Marie konnte sich ihrer „herrlichen, aber auch schweren Lebensaufgabe“, nun ganz für ihre „Jungens“ zu leben, nur noch kurze Zeit widmen. Sie hatte sich wohl bei der Pflege Curts angesteckt und starb ein halbes Jahr nach dem ersehnten Kriegsende am 4. Mai 1919 in Tiengen. Sie wurde neben Curt in Dresden begraben. Die vier Jungen wurden nach dem Tod beider Eltern alle gemeinsam von ihrer Tante und ihrem Onkel, Maries Schwester und Schwager, zu deren eigenen fünf Kindern aufgenommen und von ihnen großgezogen. Von den vier Söhnen Curts und Maries überlebten alle den Ersten, nur zwei von ihnen auch den Zweiten Weltkrieg. Die vier Söhne Curts und Maries als junge Männer.   

Epilog

Damit sind die Aufzeichnungen beendet. Wer hätte das je gedacht, dass sie so endigen würden. Hoffnungsvoll begann ich sie für Curt abzuschreiben. Das Ende dachte ich mir einst mit einer fröhlichen Rückkehr nach siegreichem Ende des entsetzlichen Krieges. Nun dauert der Krieg bereits das 4. Jahr. Curt ist von mir gegangen. Wann werden wir Frieden haben? Ich schliesse diese Aufzeichnungen am 25. Oktober, am Jahrestag unserer vorjährigen gemeinsamen Abreise nach Wehrawald. Dresden, am 25. Oktober 1917.

Was danach geschah [XI]

[2. bis 8. Januar 1917] Dienstag den 2. Januar trat ich meine Heimreise an. Der gelbe Omnibus brachte mich früh gegen 1/2 9 nach Wehr. Von da auch fuhr ich mit einmaligem Umsteigen in Leopoldshöhe durch bis Frankfurt a.M. wo ich mit ziemlicher Verspätung gegen 7 ankam. Ich war sehr müde und hungrig, da auf der ganzen Fahrt weder Speisewagen noch irgend etwas zu essen gab. Meine Ernährung bestand aus einem Teil der Brotration meines Zimmermädchens vom Verwaltungsgebäude, etwas Cakes und Schokolade. Ich kam sehr gut in Frankfurt im Basler Hof, einem vorzüglichen christlichen Hospiz unter und übernachtete dort. Am nächsten Morgen gegen 8 Uhr fuhr ich weiter. In Leipzig kam ich gegen 4 Uhr an und wollte gegen 6 weiter fahren. Der Fahrplan war aber geändert worden und hatte ich gleich Anschluss. Müde und hungrig war ich diesmal auch. Ich war die ganze Zeit mit 5 Feldgrauen und noch einem jungen Mädchen gefahren. Der Zug war in Frankfurt so überfüllt gewesen, dass ich anfangs dachte, ich käme garnicht mit. Die Feldgrauen machten aber Platz. …

Was danach geschah [X]

[31. Dezember 1916] Ich verliess dann mit Doktor Sch. das Sterbezimmer und wurde von der Schwester in ihr Zimmer gebracht. Lange, lange Zeit hatte ich nur das Gefühl als ob ich das alles nicht erlebt, sondern nur geträumt hatte. Ich dachte, ich müsste wieder erwachen aus dunklem, schweren Traum. Es konnte ja nicht sein, dass alles vorbei war. Vorbei unser Zusammensein, meinen Jungen der Vater genommen. Mein Glück zerstört. –  Nun musste ich etwas tun. Ich schrieb Telegramme, die alle des Sonntags wegen erst zwischen 5 und 6 Uhr befördert wurden. Da ich sie aber dringend aufgab dachte ich, sie würden in Dresden noch abends ankommen. Sie sind aber alle erst am nächsten Tag angekommen. Dann ging ich zu Dr. L. mit dem ich alles Nötige wegen der Überführung u.s.w. besprach. Ich selbst beschloss Dienstag den 2. Januar abzureisen. Die Leiche sollte erst Mittwoch überführt werden. Auf dem Rückweg von L. traf ich Fräulein R. Sie war so lieb und gut. Ich durfte gleich ihr Zimmer benutzen und habe mich den ganzen Tag und auch …

Was danach geschah [IX]

[30. und 31. Dezember 1916] Am 30. während des Mittagessens kam ein neuer und sehr starker Anfall von Atemnot und Erstickung. Die Fenster wurden weit aufgemacht, Dr. L., den ich holen liess, kam und machte eine Morphiumspritze. Nach einiger Zeit beruhigte sich der Anfall. Ich wusste aber mit dem Augenblick genau. Es war eine ernste Mahnung. Das Ende war nicht fern. Zitternd, bis ins Tiefste erschüttert verbrachte ich den Tag. Auf das Atmen lauschend, was immer lauter und beängstigender klang, je näher sich der Tag dem Ende zu neigte. Die Nacht begann. Ich schlief überhaupt nicht. Qualvoll war das Atmen zu hören. Betend faltete ich die Hände. Ich wusste ja, grösser als der Helfer ist die Not ja nicht. Dieses Wort hatte mir Tante Toni in einem Brief geschrieben, der gerade am 30. angekommen war. Ich flehte zum lieben Gott in meiner Herzensangst, erlöse ihn, lass ihn nicht mehr leiden, aber verleihe ihm Kraft, es zu ertragen. Curt war in der Nacht sehr unruhig, immer wurde das Licht angedreht. Gegen 6 Uhr früh hatte er …

Was danach geschah [VIII]

[25. bis 29. Dezember 1916] Die Weihnachtssendung der Kinder kam erst am 1. Feiertag an. Die darin befindlichen Bilder der Jungens hatte ich für Curt als Überraschung bestellt. Er freute sich darüber hatte sie eine Weile in den Händen und legte sie dann wieder fort. Er hat sie wohl kaum wieder mit Bewusstsein angesehen. Ich ging am 1. Feiertag früh in den Damensalon, dort fand Gottesdienst statt. Der Geistliche war dazu aus St. Blasien gekommen. Der Gottesdienst begann aber eine halbe Stunde später da der Geistliche des Glatteises wegen den Berg zum Sanatorium schlecht raufkam. Nach dem Gottesdienst frühstückte ich und besuchte dann Frau H., die mir ihre Bescheerung zeigte. Die nächsten Tage verliefen leidlich. Am 27. Dezember erneuerte Curt sogar sein Urlaubsgesuch und schrieb einen Brief an Leutnant S. Wie freute ich mich über dies erneute Zeichen seiner Teilnahme. Ich war ja so bescheiden geworden. Denn sonst lag er ja sehr apatisch und meist schlafend durch das Morphium. Die folgenden Tage bekam er zeitweilig leichte Beklemmungen, die mich stets sehr ängstigten. „Jetzt“ dachte ich …

Was danach geschah [VII]

[etwa 9. bis 24. Dezember 1916] Von nun an begannen furchtbare Tage. Die Reaktion nach dem Brennen war sehr stark, dazu das zunehmende Leiden. Es war qualvoll mit anzusehen […]. Dazu der quälende Husten […]. Es war wirklich übermenschlich. Das Jammern von Curt: „womit habe ich das verdient?“ schnitt mir ins Herz. Mein Herzblut hätte ich dahin gegeben, hätte ich ihm helfen können. Wir alle waren machtlos. Am 3. Tage nach meiner Rückkehr hatte ich eine längere Unterredung mit L., da ich den Gedanken erwog heimzureisen um Curt zu seinen Jungs zu bringen. er hatte dies in Freiburg ausgesprochen, er habe Angst die Jungen nicht mehr wieder zu sehen, er wolle bei ihnen sterben. – L. riet in diesem Falle zu einer schnellen Abreise. Da aber Curt immer die Hoffnung hatte wieder gesund zu werden und dies auch gelegentlich aussprach, mussten wir den Gedanken fallen lassen. Ich glaube auch noch hinterher, es war das Richtige. Vor allen Dingen, da L. mir gesagt hatte, dass ich ihn hätte in Dresden in ein Krankenhaus bringen müssen. Da …

Was danach geschah [VI]

[7. bis etwa 9. Dezember 1916] Am nächsten Morgen ging es so schlecht, dass es mir selbst fast unmöglich schien zu fahren. Unsere Koffer hatte ich am Tage vorher schon aufgegeben. Ich musste einen Zwang haben zu reisen. Auch K. zweifelte an seiner Reisefähigkeit. Ich sagte mir schliesslich, dass nach dem Urteil K.s der Fall so hoffnungslos stände, dass ein Bleiben keine heilsame Wirkung, eine Abreise keine schädliche Wirkung haben könnte. Dagegen, wenn die Reise ausgeführt würde uns wir wieder in Wehrawald seien, dem Kranken Erleichterung durch die herrliche Luft werden könnte. Ausserdem würde ihn die reizende Umgebung seelisch erfrischen. Kurzum, wir reisten! – Wir kamen in Leopoldshöhe an. Das Umsteigen ging mühsam. Ein Landsturmmann brachte ihn die Treppe herauf. Wir kamen in Wehr an. Kein Auto da. Eine mir endlos scheinende halbe Stunde warteten wir im Restaurant. Die Schwäche bei Curt nahm zu. Was nun? Da kam das Auto! – Glücklicher Weise das Privatauto. Ausser uns fuhren nur noch 2 weibliche Wesen mit. Wir fuhren durch schönen dicken Schnee, der in der Gegend lange …

Was danach geschah [V]

[25. November – 6. Dezember 1916] Am 25. früh musste ich gegen 1/4 7 aufstehen, da noch allerlei Reisevorbereitungen waren. Dann weckte ich Curt, dem das Anziehen viel Atemnot bereitete. Gegen 8 Uhr kam der Wagen, der uns bis an die Post fahren sollte. Wir verabschiedeten uns von Frieda, dem Zimmermädchen und fuhren fort. An der Post mussten wir lange warten. Der Autolenker hatte nie Eile. Da es aber ein ideal schöner Gebirgsmorgen war, konnten wir ruhig auf der Bank am Wartehäuschen warten. Dann endlich ging es los. Die Autofahrt war Curt sehr unangenehm wegen des starken Benzingeruches. Der übrige Teil der Reise ging über Erwarten gut. Da Curt keine Temperatur hatte war er ganz frisch. Um ein Uhr kamen wir in Freiburg an und fuhren mit Droschke nach der Klinik von Professor K. Dort ahnte kein Mensch etwas von unserer Ankunft. Erst begriffen wir das nicht, da wir doch angesagt waren. Dann stellte sich aber heraus, dass Professor K. nur die Anfrage von Dr. L. bekommen hatte, unsere Ansage, dass wir Sonnabend kämen aber …

Was danach geschah [IV]

[9. bis 24. November 1916] Wie freute ich mich, als Curt sogar Freitag den 9. November aufstehen durfte und da herrlicher Sonnenschein war auf der Liegehalle liegen konnte. Am Sonnabend assen wir sogar mit allen im Speisesaal Mittag und tranken dort auch Kaffee. Nach dem Abendessen, an dem wir auch noch unten teilnahmen, musste ich Curt gleich wieder zu Bett legen, da die Temperatur wieder auf 37,6 gestiegen war. Nach 8 tägiger Bettruhe konnte er wieder aufstehen und auf der Liegehalle liegen. Aber auch hier misslang der Versuch und bekam er zweiten Aufstehtag wieder erhöhte Temperatur, die in den nächsten Tagen immer höher steig und nur mit Pyramidon heruntergebracht wurde. An eine Abreise von mir war nicht zu denken, Curt brauchte meine Hilfe so nötig. […] Dr. L. behandelte den Kehlkopf mit Milchsäure und blies ihm vor den Mahlzeiten ein gelbes Pulver Ortloform ein, um das Schlucken zu erleichtern, was sich immer mehr verschlechterte. Am 22. November bat ich Dr. L. um eine Unterredung, ich musste mir Klarheit verschaffen über Curts Zustand, der mir immer …